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Walter und die Palabirne – wie ein Südtiroler Obstbauer eine uralte Birnensorte wiederentdeckt

Sie passt so gar nicht in unsere hektische Zeit – die Palabirne. Sie ist weder glatt noch wohlgeformt – dafür eher unförmig und knubbelig. Sie wächst auch nicht in Reih‘ und Glied, sondern an uralten Palabirnenbäumen, wo man nur sehr schwer an sie herankommt, weil sie in bis zu 25 Meter Höhe hängen. Aber da sie einfach zu gut schmeckt und zudem sehr gesund ist, hat sich Walter Tschenett entschlossen dieser alten Birnensorte, die früher überall im Vinschgau wuchs, wieder neues Leben einzuhauchen.

Ursprung der Palabirne

„Wenn die Palabirnen reif sind, hat der Doktor keine Arbeit.“ So sagt es zumindest eine alte Volksweisheit aus dem Südtiroler Vinschgau. Sie hat unzählige Bezeichnungen, wie Pilli-Palli-Birne, Zuckerbirne, Pülibirne, Sommerapothekerbirne oder auch Türkische Birne, denn die Birnenart wurde ursprünglich aus Asien über die Türkei um 1500 nach Europa gebracht und hat sich dann europaweit verbreitet. 1650 wurde sie in der Nähe von Florenz erwähnt, 1660 in Frankreich und 1755 in Deutschland. Im selben Jahr fand sie auch auf der Churburg im Vinschgau erstmals Erwähnung.

Lecker und auch noch gesund?

Leicht knubbelig und mit unregelmäßiger Form sieht die Palabirne von außen recht unscheinbar aus. Dafür überrascht sie mit ihren inneren Werten umso mehr: Aromen von Muskat, feine Säure und einem Hauch von Honig, Karamell, Vanille und Zimt durchdringen die Geschmacksknospen. Das gelblich weiß und körnige Fruchtfleisch ist unglaublich saftig und viel süßer als andere Birnenarten. Die Palabirne ist eine sehr alte Birnensorte und bietet somit im Gegensatz zu den Supermarktsorten, die nach Größe und Form normiert sind, viel mehr Geschmacksvielfalt und Abwechslung.

Und neben dem hervorragenden Geschmack, hat die Palabirne auch vielfältige positive Effekte auf den Körper. Im Volksmund wird die Birne auch Sommerapothekerbirne genannt, denn früher wurde sie tatsächlich bei Magenbeschwerden von Ärzten verschrieben und man sagt, dass diese in ihrer Erntezeit Urlaub machen konnten. Durch ihren hohen Anteil an Ballaststoffen und Fruchtzuckergehalt wirkt die Birne auf natürliche Weise reinigend und sie ist reich an Vitamin C und Mineralien wie Kalium, Phosphat, Calcium und Magnesium. Die zahlreichen Ballaststoffe in der Birne, wie z. B. Zellulose, Lignin und Pektine fördern den bakteriellen Abbau im Dickdarm, wirken dort krebshemmend und vermindern in der Leber die Bildung von Cholesterin. Außerdem enthält die alte Birnenart sekundäre Pflanzenstoffe, die im Körper die Abwehrkräfte mobilisieren und aktiv gegen Allergien wirken.

Fast reife Palabirnen aus dem Vinschgau
Fast reife Palabirnen aus dem Vinschgau

Schwierige Ernte

Geschmack und gesundheitliche Wirkung der Palabirne sind eine absolute Win-Win-Situation und ich habe mich oft gefragt, warum diese Birne noch nicht die Wochenmärkte von ganz Europa erobert hat. Stattdessen werden dort oft noch total harte und nach nichts schmeckende Birnen angeboten. Die Ernte und Lagerung der Palabirnen ist jedoch gar nicht so einfach. Ein Baum kann bis zu 25 Meter hoch werden. Die hochstämmigen Bäume sind riesig und starkwüchsig, allerdings sind die Äste sehr brüchig. Daher bedarf es zum einen viel Mut und meistens teurer Hebebühnentechnik um die Bäume vollständig im September zu ernten. Früher nutze man Leitern, doch Walter Tschenett erzählt von den Gefahren dieser Erntehilfe: „Ich weiß von mindestens drei Leuten, die beim Palabirnenklauben von der Loan gefallen und gestorben sind.“

Natürlich kann man die Früchte einfach runterfallen lassen, doch dann werden die Wespen schnell zur Plage. Die Birne verdirbt außerdem sehr schnell und lässt sich auch nicht lange lagern. Nach der Ernte hält sie sich leider nur ca. drei Wochen.

Palabirnenbäume werden mehrere hundert Jahre alt und über 25 Meter hoch
Palabirnenbäume werden mehrere hundert Jahre alt und über 25 Meter hoch

Die Palabirne im Vinschgau

Die aufwendige Ernte, schnelle Verderblichkeit und die Wespenplage sind wohl einige der Gründe warum die Birnenart in Europa immer mehr verschwand und teilweise in Vergessenheit geraten ist.

Das Vinschgau war jedoch einst das Armenhaus Tirols und daher hat sich die Palabirne in dieser Region wohl länger gehalten, weil die Menschen sehr arm waren und in der Birne einen günstigen Süßstoff gefunden hatten. Die Früchte können zu Dörrobst, Mus, Mehl, Kaffee- und Kakaoersatz, Honig und zum Versüßen der Speisen verarbeitet werden. Es war üblich, dass man Birnenspalten trocknete und mit Hilfe von Nähnadel und langen Zwirn auf dem Dachboden aufhing. Das Trockenobst, oder auch „Palabirnenschnitz“ genannt, wurde dann übers Jahr vernascht oder zu einem günstigen Zuckerersatz gemahlen. Aufgrund des intensiven Aromas eignen sich die knubbeligen Früchte auch hervorragend zum Backen für süße Nachspeisen, Krapfenfülle oder in dem traditionsreichen süßen Weihnachtsbrot, das in Südtirol gebacken wird. Außerdem lassen sich aus den Birnen köstliche Säfte, Kompott und Obstgeist herstellen.

Für die süßen Früchte im Vinschgau kamen die Menschen bis aus dem Engadin, dem Inntal, aus dem Vinschger Oberland und aus den Städten, um die Palabirnen zu kaufen oder mit Wein oder Kartoffeln zu tauschen. So hatte die Palabirne lange Zeit auch eine wirtschaftliche Bedeutung für das Vinschgau. Außerdem sind die Bäume robust und frosthart und somit ideal für die Bedingungen im Vinschgau.

Durch die Erschließung des Tourismus im Vinschgau wurden auch viele Supermärkte gebaut, die den Alltag und die Nahrungsbeschaffung der Menschen erleichterten und schrittweise veränderten. Und da der Mensch bequem ist, wurden die Früchte der Palabirne, die aufwendig zu ernten sind, nicht mehr geschätzt und sind langsam in Vergessenheit geraten. Denn warum sollte man sich die Mühe machen und auf einen hohen Baum klettern und dabei eventuell noch sein Leben riskieren, wenn man einfach in den nächsten Supermarkt gehen kann? Zudem gab es in den Discountern mittlerweile ja auch günstigen Zucker, Kaffee und Mehl und man musste sich nicht mehr die Mühe machen mit Hilfe der Palabirne diese kostbaren Produkte aus der Vergangenheit zu ersetzen. So fielen die Birnen zu Boden, wurden von den Wespen vernascht, verfaulten oder wurden als Tierfutter genutzt.

Blick auf das historische Glurns - hier findet im Herbst die Palabirnenwoche statt
Blick auf das historische Glurns – hier findet im Herbst die Palabirnenwoche statt

Vergessen und Wiederentdeckt

Palabirnenbäume sind mit über 200 Jahren Geschichte fast schon Naturdenkmäler. Und viele Vinschger verbinden mit den Bäumen schöne Kindheitserinnerungen und haben die „Palabirnenschnitze“ von ihren Eltern und Großeltern als süße Kostbarkeit mit auf den Schulweg bekommen. Als immer mehr der großen knorrigen und vom Wind gebeutelten Bäume, die seit jeher das Landschaftsbild des Vinschgaus prägten, verschwanden, haben sich einige Vinschger für den Erhalt der Palabirnenbäume und die Wertschätzung ihrer Produkte eingesetzt, damit sie nicht komplett verschwinden.

Walter Tschenett war Mitte der 90er Jahre der Erste im Oberen Vinschgau und anfangs noch allein mit seiner Einstellung diese vergessene Birnenart auch als Kulturgut zu bewahren und wieder populär zu machen. Vor allem in Südtirol, dem größten zusammenhängenden Apfelanbaugebiet Europas, wurde er dafür oft belächelt. Doch seine Hingabe, Leidenschaft und harte Arbeit haben sich ausgezahlt. In den letzten Jahren hat er immer mehr Befürworter gewinnen können und nun gibt es sogar schon die Palabirnen-Tage in der mittelalterlichen Stadt Glurns, die dieser Birnenart gewidmet werden. Eine Woche lang werden Spezialitäten um die alte Vinschger Obstsorte verkostet, es gibt Konzerte, Schaukochen und Vorträge unter dem Motto das Neue suchen ohne das Alte zu zerstören. Und immer mehr Liebhaber und Hobbybauern pflanzen Palabirnenbäume. Wer im September Urlaub im Vinschgau macht, sieht und hört plötzlich überall von der alten Birnenart und entdeckt sie als herzhafte und süße Zutat in Restaurants, Hofschänken, Bäckereien, Metzgereien und auf Märkten. Heute zählt die Palabirne zum Kulturgut der Region.  

Walter kennt die Palabirne und ihre Bedeutung für den Vinschgau wie kein anderer
Walter kennt die Palabirne und ihre Bedeutung für den Vinschgau wie kein anderer

Walter Tschenett vom Tälerhof

Nachdem Walter Tschenett vom Tälerhof in Schluderns eine Apfelplantage pachtete, war seine Faszination für alte Obstsorten und naturnahe Bewirtschaftung entfacht und er verabschiedete sich vom Gemüseanbau. Und da er im Hofeingang des neuen Grundstückes, wo er ein Haus bauen wollte, einen großen und an die 200 Jahre alten Palabirnenbaum vorfand, war der Grundstein für die Ausrichtung seiner Arbeit für die nächsten Jahre gelegt. Er fing an sich mit der Geschichte der Palabirne zu beschäftigen, fragte bei älteren Menschen nach ihren früheren Palabirnen-Rezepten, die längst in Vergessenheit geraten waren und noch nie in einem Kochbuch aufgeschrieben wurden.

Er pflanzte rund 70 junge Palabirnenbäume, doch die ersten Jahre des Palabirnenanbaus waren für Walter Tschenett wirtschaftlich nicht einfach. Bis die jungen Bäume ausreichend Früchte trugen, musste er die bestehenden alten Bäume in der Region ernten und die Ernte dieser großen Bäume ist aufwendig und durch das Mieten einer Hebebühne kostspielig. Doch Walter Tschenett ist von der hohen gesundheitlichen Qualität der Palabirne und auch von ihrer vielseitigen Verwendungsmöglichkeit in der Küche und als Kulturgut des Vinschgau überzeugt. Und genau diese Überzeugung hat ihn motiviert nicht aufzugeben. Er musste weitere Ideen entwickeln um die Palabirne wieder populär zu machen und das ist ihm sehr erfolgreich gelungen. Heutzutage ist die Palabirne ein Aushängeschild des Vinschgau und sowohl Einheimische als auch Gäste wissen ihren Geschmack und gesundheitlichen Wert immer mehr zu schätzen.

Palabirnenbauer aus Leidenschaft

Walter Tschenett zeigt auf dem Tälerhof jeden Tag, dass sich Naturschutz, Kulturliebe und wirtschaftliches Denken miteinander kombinieren lassen. Für seine neu gepflanzten Palabirnen-Bäume hatte er die Idee Baumpaten zu finden, die sich gemeinsam einen Baum mieten und ihn dann ernten dürfen. Die Stärkung der regionalen Kreisläufe ist Walter Tschenett sehr wichtig. Alles was für die Verarbeitung der Früchte zugekauft werden muss, wird wo immer es geht aus der Region gekauft. Und auch bei der Bewirtschaftung der Bäume spielen Regionalität und Nachhaltigkeit eine große Rolle. Durch die naturnahe Bewirtschaftung nimmt er den Dünger aus der heimischen Biogasanlage, der sehr viel günstiger als konventionelle Pestizide ist und keine langen Transportwege hinter sich hat. Wenn es einem Baum nicht gut geht, dann schickt er Proben an die Laimburg, ein Land- und Forstwirtschaftliche Versuchszentrum. Wenn er dann das Problem kennt, behandelt er den Baum mit selbst hergestellten Kräuter-Mischungen.

Ich war bei Walter Tschenett zu Besuch auf dem Tälerhof um mehr über seine bemerkenswerte Arbeit zu erfahren

Im September ist Erntezeit der Birnenart. Walter Tschenett verkauft die Palabirne dann frisch auf seinem Hof oder auf Märkten oder liefert sie an Hotels und Restaurants. Außerdem entstehen auf dem Hof in liebevoller Handarbeit Köstlichkeiten wie Marmelade, die mit Holunder, Brombeeren und Preiselbeeren verfeinert werden, Chutney, Mostarda, Palabirnenmehl als Süßstoff sowie Palabirnenmus und Dörrobst. Neben der Palabirne und ihren leckeren Köstlichkeiten gibt es auch andere Erzeugnisse aus alten Apfelsorten.

Zu Besuch auf dem Tälerhof

Unter Voranmeldung kann man den Tälerhof besichtigen und die verschiedenen Produkte probieren. Walter Tschenett teilt dabei sehr gerne sein enormes Wissen, dass er sich als nachhaltiger Obstbauer in den letzten 30 Jahren angeeignet hat. Ich kann einen Besuch auf dem Tälerhof nur wärmstens empfehlen. 2018 war ich das erste Mal spontan vor Ort und obwohl Walter gerade mitten in der Ernte steckte, wurde ich sehr herzlich empfangen und durfte die Produkte verkosten. In dieser einen Stunde habe ich enorm viel über die Palabirne, ihren gesundheitlichen Wert, Anbau und historische Fakten gelernt. Man spürt die Hingabe und Leidenschaft von Walter Tschenett für die Palabirne und es ist bewundernswert, wie er sich für den Schutz und Erhalt dieser alten traditionellen Birnenart im Vinschgau einsetzt. Hier geht’s zum Tälerhof

Palabirne vom 215 Jahre alten Baum auf dem Tälerhof bei Walter Tschenett in Schluderns
Palabirne vom 215 Jahre alten Baum auf dem Tälerhof bei Walter Tschenett in Schluderns

Palabirnenschmarrn selber machen

Hier findest du ein Palabirnen-Rezept aus dem Buch „Schneemilch und Pressknödel“ von Frieder Blickle und Isolde von Mersi für ein Palabirnen-Kaiserschmarrn (Zutaten für 2 Personen).

  • 500 ml Milch
  • 1 Msp. Vanilleschote (gemahlen)
  • 3 EL Honig
  • 1 Prise Salz
  • 300 g Weizenvollkornmehl
  • 4 Eier
  • 250 g Palabirnen (alternativ Äpfel)
  • Butter
  • Puderzucker

Zubereitung: Milch mit Vanille Honig, Salz und Mehr verrühren und 15 Minuten quellen lassen. Dann die Eier unterrühren. Palabirnen in sehr dünne Scheiben schneiden. In einer flachen Pfanne etwas Butter erhitzen. Teig portionsweise hineingießen. Birnenscheiben auf dem Teig verteilen und so lange backen, bis die Unterseite hellbraun ist. Wenden und mit zwei Kochlöffeln in Stücke reißen, noch einmal durchschwenken. Auf Tellern anrichten und mit Puderzucker bestreuen. Genießen!

Rezept für einen Kaiserschmarren mit Palabirnen
Rezept für einen Kaiserschmarren mit Palabirnen

Zusammenfassung

Durch meinen ersten Besuch auf dem Tälerhof wurde ich förmlich mit dem Palabirnen-Fieber angesteckt und bin seitdem auch absoluter Palabirnen-Fan. Die Birne ist ein idealer Snack auf Wanderungen und vor meiner Abreise decke ich mich mit den gesunden und saftigen Früchten ein. Zu Hause gibt es die Früchte dann im Müsli oder als leckeren Palabirnen-Kaiserschmarrn, der mich an die schöne Zeit im Vinschgau erinnern lässt. Mittlerweile plane ich meinen Südtirol-Urlaub wirklich nach der Erntezeit der Palabirne, denn sie schmeckt unglaublich lecker und die Geschichte ihrer Wiederentdeckung hat mich wirklich sehr begeistert. Sie zeigt, dass es wichtig ist sich für den Erhalt alter Obstsorten einzusetzen, weil sie Abwechslung in unseren Speiseplan bringen, viel mehr gesundheitlichen Wert als Tafelobst haben und natürlich viele Geschichten unserer Vorfahren mit sich bringt, die sonst immer mehr in Vergessenheit geraten.

Mein digitaler Reise-Guide für dich

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Hinweis: Unbeauftragte, unbezahlte Werbung. Dieser Artikel basiert auf persönlichen Erfahrungen, die ich selbst gezahlt habe.

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