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Kann Reisen nachhaltig sein?

Plötzlich ist gefühlt jeder nachhaltig. Die neue Zahnbürste ist aus Bambus, die Kartoffeln „Bio“ und aus der Region, die neue Strickjacke natürlich aus Naturfaser und Second-Hand… Und deine nächste Reise – was ist mit der?

Wie groß ist dein ökologischer Fußabdruck?

Nachhaltig Reise ist ein aktuelles Thema. Doch seien wir doch mal ehrlich: zu 100% nachhaltig Reisen klingt zwar toll, aber in Realität funktioniert das nicht wirklich. Jede Reise ist mit Treibhausgas-Emissionen (CO2 bzw. genauer CO2-Äquivalente) und Energieaufwand verbunden. Alleine durch die An- und Abreise sind die CO2-Emissionen meist schon höher als im Alltag. Im Jahr 2018 stieß jeder Europäer im Durchschnitt rund 8,6 tCO2 aus – das sind umgerechnet 23,6 kgCO2 pro Tag (Quelle: Europäische Umweltagentur). Das liegt weit über dem weltweiten Durchschnitt von nur 13,2 kgCO2 pro Tag.

CO2-Emissionen: Der Begriff CO2-Emissionen wird üblicherweise genutzt um das Treibhauspotential zu quantifizieren. Genauer müsste es CO2-Äquivalente heißen, denn auch andere Gase tragen zum Treibhauseffekt bei. So wirkt z.B. 1 kg Methan (CH4) 25-mal und Lachgas (N2O) sogar 300-mal stärker als 1 kg CO2. Quelle: IPCC Global Warming Potentials

Nehmen wir nun als Beispiel eine Reise von Berlin nach Florenz und zurück (ca. 2500 km) und vergleichen die dafür anfallenden CO2-Emissionen für die verschiedenen Verkehrsmittel:

Verkehrsmittel
Dauer
in h
CO2
in kg
Flugzeug7 528
Pkw* (Benzin)24250
Pkw* (15% Biomethan)25168
Pkw* (Elektro, D-Mix)28170
Zug (IC, ICE)4289
Bus (Fernlinie)4458
CO2-Emissionen pro Person für An- und Abreise von Berlin/Florenz (ca. 2500 km)
*) Fahrt mit 2 Personen | Quellen: quarks.de, Google Maps, trainline.com, eigene Berechnungen

Die Unterschiede sind enorm. Während mit dem Flugzeug 528 kgCO2 anfallen, sind es mit dem Reisebus nur 58 kgCO2. Auf der anderen Seite nimmt aber die Reisedauer von 7 h auf fast zwei volle Tage auch enorm zu. Ein weiteres Extrem wäre es, die Strecke zu Fuß zurückzulegen. Insgesamt wäre man somit bei 8 h durchgängigen Wanderns pro Tag und mit schwerem Rucksack ca. 60 Tage unterwegs und würde dabei bis zu 116 kgCO2 ausatmen (Quelle: co2online.de). Das wäre sogar mehr als mit Bus oder Bahn. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit, denn das CO2, das wir Menschen ausatmen, stammt in der Regel aus Lebensmitteln, die genau dieses CO2 vorher aus der Luft aufgenommen haben – also sogenanntes Kreislauf-CO2. Jedoch kann bei der Lebensmittelproduktion selbst auch wieder viel zusätzliches CO2 entstehen. Wie z.B. bei langen oder aufwendigen Transportwegen oder bei der Fleischherstellung (vor allem Rindfleisch).

Auf der anderen Seite kann ein Auto mit Verbrennungsmotor, welches z.B. mit 100% nachhaltigem Biomethan aus biologischen Reststoffen (aus Biotonne, Kuhdung oder Stroh) betrieben wird, insgesamt sogar weniger CO2 ausstoßen. Wenn wir also wirklich sinnvoll CO2-Emissionen ermitteln wollen, müssen wir dazu stets die gesamte Kette aus Produktion, Transport, Betrieb und Verwertung betrachten. Das wird dann als sogenannte Lebenszyklusanalyse bezeichnet.

Wie kann man seine CO2-Emissionen sinnvoll reduzieren?

Da An- und Abreise einen so großen Anteil an den CO2-Emissionen ausmachen, sollte das Verhältnis zwischen Reisedistanz und Aufenthaltsdauer stimmen. Mal eben schnell einen Wochenendtrip von Berlin nach Paris (egal ob mit Flugzeug, Auto oder Bahn) ist für die Umwelt nicht sehr verträglich. Wenn die Zeit es zulässt, sind Bus und Bahn die umweltschonenderen Fortbewegungsarten.

Aber auch vor Ort lässt sich einiges tun, wie z.B. das Meiden von Einwegverpackungen (insb. Plastik) und Lebensmitteln mit extrem aufwendigen Transportwegen. Wähle daher eher lokale und ökologisch hergestellte Waren.

Auf der anderen Seite kann es die Reise aber auch sehr anstrengend machen, wenn man ständig damit beschäftigt ist die CO2-Emissionen zu bestimmen. Ich setze hier auf das Pareto-Prinzip: mit 20% Aufwand lassen sich typischerweise bereits 80% der Probleme lösen. Das heißt: konzentriere dich auf das Wesentliche. Lieber mal eine Reise mehr ins heimische Umland anstelle eines Fluges rund um die Welt. Dafür kannst du dann aber deinen Espresso mit Kaffeebohnen aus Brasilien genießen.

Ist CO2-Kompensation moderner Ablasshandel?

Vom Benziner auf das Elektroauto umzusteigen ist aktuell noch nicht die ideale Lösung um den CO2-Ausstoß zu mindern. Denn der CO2-Ausstoß pro kWh erzeugten elektrischen Stroms ist in Deutschland und Europa noch zu hoch. Eine weitere Person im Auto mitnehmen bringt da schon mehr. Und leider hat man mit ca. 25 Urlaubstagen pro Jahr auch nicht ausreichend Zeit die An- und Abreise zu Fuß oder mit dem Fahrrad zurückzulegen. Selbst bei Reisen im eigenen Land dauern die Zug- und Busverbindungen leider oft sehr viel länger und sind teilweise sehr unzuverlässig. Daher ist es die beste Lösung, den CO2-Ausstoß dort zu reduzieren, wo er entsteht. Die zweitbeste Lösung ist es, den Rest zu kompensieren. Es gibt mittlerweile eine Vielzahl an Anbietern sogenannter CO2-Kompensationsmaßnahmen. Die Stiftung myclimate.org bietet z.B. an, eine entsprechende Anzahl Bäume zu pflanzen, welche die emittierte Menge an CO2 in Zukunft wieder aufnimmt. Das dauert allerdings eine Weile. Erst nach ca. 20 Jahren tritt der positive Effekt ein.

Eine weitere Möglichkeit ist es, nachhaltige Projekte zu unterstützen. Insbesondere in Regionen, wo nicht genügend Geld für moderne Technologien, wie z. B. effiziente Wasserpumpen oder schadstoffarme Verbrennungsmotoren vorhanden sind, hat dein Beitrag einen besonders großen Hebel. Aber ist das nicht teuer? Je nachdem. Die Autofahrt von Berlin nach Oberstdorf und zurück (ca. 1500 km) kann man schon ab 6 EUR kompensieren, Hin-und Rückflug von Berlin nach Kapstadt ab 80 EUR.

Tourismus schadet nicht nur der Umwelt

Die wohl bekannteste Entdeckung des Physikers Werner Heisenberg zu Anfang des 20. Jahrhunderts war seine Heisenbergsche Unschärferelation. Diese besagt, dass man ein Teilchen nicht beliebig genau beobachten kann ohne es selbst zu beeinflussen. Aber was hat nun Quantenmechanik mit dem Reisen zu tun? Nun von den Größenordnungen eigentlich nichts, aber auch beim Reisen wollen wir Dinge vor Ort beobachten, Natur, Tiere und Menschen authentisch erleben. Das wird aber unmöglich, wenn die Zahl der Touristen mehr und mehr die Zahl der Einheimischen übersteigt – wie z.B. an der spanischen Costa del Sol seit den 1960er Jahren. Aber auch ein einzelner weißer Tourist in einem abgelegenen kleinen Dorf in Lesotho bleibt nicht lange unentdeckt.

Mit anderen Worten: Wir können die Orte, die wir besuchen, nicht NICHT beeinflussen. Aber ähnlich wie bei unserem ökologischen Fußabdruck können wir auch unseren sozioökonomischen Fußabdruck durch bewusstes und verantwortungsvolles Reisen verkleinern. Große Touristenansammlungen zu meiden, hilft also automatisch dabei authentischere Orte zu finden. Auch antizyklisches Reisen hilft die vielen Touristen besser zu verteilen. Achte z.B. auf die Ferienzeiten der Regionen aus denen die meisten Touristen in dein Reiseziel kommen. Gehe beliebte Touren unter der Woche oder die Rundtour einfach mal andersrum als eingezeichnet.

Warum sollte man trotzdem Reisen?

Die nahezu unvermeidbaren CO2-Emissionen beim Reisen sind ein Problem für unser Klima. Und wenn zu viele Menschen an abgelegene kleine Orte reisen, werden diese wohlmöglich zerstört. Was ist also überhaupt noch gut am Reisen?

Durch bewusstes und neugieriges Reisen können wir viel lernen und unseren Horizont erweitern. Z.B. wie in anderen Regionen der Welt nachhaltige Landwirtschaft betrieben wird. So wie es mehr und mehr Milch- und Obstbauern in Südtirol vormachen (mehr dazu in meiner Reise Vinschgau im Sommer). Oder wie Menschen und Wildtiere lernen friedlich nebeneinander zu leben, wie im und um das Thula Thula Wildtier-Reservat im Zululand, Südafrika.

Am Ende ist es auch das Reisen, das uns Menschen auf dieser Welt näher zusammenbringt. Denn das stärkste Mittel gegen Vorurteile und Hass sind deine persönlichen Erfahrungen und die Geschichten, die du mit nach Hause bringst.

Mit deiner Reiseplanung kannst du den Unterschied machen!

Mit jedem kleinsten Baustein deiner Reise kannst du Gutes aber auch Schlechtes bewirken. Du hast die Wahl, ob du in das Hotel einer großen internationalen Kette eincheckst, die die einheimischen Angestellten mit Niedriglöhnen bezahlt und den Großteil der Lebensmittel aus anderen Ländern mit dem Flugzeug anliefern lässt. Du hast ebenfalls die Wahl ein Apartment direkt bei Einheimischen zu buchen, die dir Tipps für die besten lokalen Restaurants geben. Beim Frühstück kannst du hausgemachte Speisen mit Zutaten aus den Garten der Besitzer genießen. Und das Beste: du stehst nicht mit hunderten von anderen Menschen am Buffet an sondern kannst den Blick von der Terrasse alleine und in aller Ruhe genießen.

Dich zwingt niemand dazu auf einem Elefanten zu reiten, der in Gefangenschaft gehalten und gequält wird um die Kunststückchen zu erbringen, die er dir vorführt. Du könntest deinen Urlaub auch in einem Naturschutzgebiet verbringen, wo du Elefanten in gebührendem Abstand mit einem erfahrenen Ranger beobachten kannst und deine Übernachtungskosten einen Beitrag zum Schutz der Tiere leisten. Du entscheidest, ob du 3000 Kilometer in einer Woche zurücklegst um alle Highlights von deiner „Bucket-List“ abzuhaken. Denn du kannst deinen Urlaub genauso gut an einem einzigen Ort verbringen und von da aus die Region kennenlernen. Dann bleibt auch mehr Zeit zum Innehalten, Durchatmen und Erholen. Ist es nicht genau das, wofür wir eigentlich Urlaub machen?

Diese Beispiele sind sehr offensichtlich und wer sich schon länger mit dem Thema beschäftigt, der wird diese Art des Reisens meiden. Was mich persönlich nachdenklich stimmt ist, dass das Thema nachhaltig Reisen leider von vielen Anbietern immer mehr als Greenwashing genutzt wird. Die Begriffe Bio-Hotel und Eco-Lodge werden inflationär gebraucht. Doch bei näherem Hinsehen findet man viele Sachen, die absolut nicht nachhaltig sind und relativ einfach anders und nachhaltiger gelöst werden könnten. Z.B. dass die Hotelwäsche hunderte von Kilometer in eine Wäscherei gefahren wird. Oder dass in der Eco-Lodge nur kleine Plastikwasserflaschen zum Trinken angeboten werden. Fakt ist: wer auch im Urlaub so nachhaltig wie möglich unterwegs sein möchte, der sollte vorher ausreichend Zeit zum Recherchieren und kritischen Hinterfragen einplanen, damit man vor Ort keine böse Überraschung erlebt. Nachhaltig Reisen ist, wenn Natur und Menschen sich freuen dich wiederzusehen!

Zusammenfassung

Reisen sind per Definition nie zu 100% ökologisch nachhaltig. Allerdings leisten Reisen einen sehr wichtigen Beitrag für eine nachhaltige Gesellschaft. Durch bewusstes Reisen und mit den richtigen Unterkünften, Aktivitäten & Projekten können wir viel lernen und einen positiven Beitrag im Reiseland leisten. Und erst durch das Reisen können wir andere Menschen, die uns vorher völlig fremd waren, kennenlernen und besser verstehen. Wir können unsere eigenen Vorurteile in persönliche Erfahrungen verwandeln und darüber hinaus zu Hause mit unseren Geschichten Vorurteile in anderen abbauen. Und wir können natürlich mit Hilfe des Pareto-Prinzips dazu beitragen unseren ökologischen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten. Und für den Rest dürfen wir dann auch guten Gewissens kompensieren.

Was meinst du dazu? Auf was achtest du beim Reisen?

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