Du musst nicht bis nach Italien fahren um guten Wein zu trinken und die Seele baumeln zu lassen. Etwa 80 km nördlich von Berlin, im Norden Brandenburgs, liegt die „Toskana des Nordens“ – die Uckermark. Zwischen natürlichen Buchenwäldern und unzähligen klaren Seen findet man sie noch, uralte Apfelbäume an Feldwegen und auf ursprünglichen Streuobstwiesen. Komm mit auf die Gutshöfe im Naturparadies und erfahre wie aus fast vergessenen Apfelsorten hochwertiger Apfelwein gemacht wird. Der perfekte Start in deinen Uckermark-Urlaub.
Toskana-Feeling im Norden Brandenburgs
Es ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen in ganz Deutschland – die Uckermark. Es ist aber nicht nur die Ruhe und Abgeschiedenheit, mich begeistert hier vor allem die Natur. Ca. 80 km nördlich von Berlin ist man inmitten eines Naturparadieses. Auf mehr als der Hälfte der Fläche der Uckermark findet man Naturschutzgebiete. Der Naturpark Uckermärkische Seen, das Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin und der Nationalpark Unteres Odertal bieten ursprüngliche Rückzugsorte für zahlreiche Tierarten.
Vor allem die vielen Seen sind ein wahres Paradies für Wasservögel. Die Region ist sehr jeher wirtschaftlich eher arm. Dafür aber bodenständig und reich an Natur.
Urlaub in der Uckermark bei Apfelwein
Für richtigen Traubenwein, wie in der Toskana, ist es hier meist zu kalt. Die Uckermark war auch keine typische Obstbauregion. Für viele alte Obstsorten, vor allem für den Apfel, aber ein Glücksfall, denn so konnten sie hier vielerorts überdauern. Im Gegensatz zu den meisten anderen Regionen in Deutschland hat man hier die alten Apfelsorten nicht ausgeräumt. So finden sich immer wieder alte Obstbäume verteilt an Feldwegen und auf alten Streuobstwiesen.
Die meisten Äpfel in Deutschland, vor allem die aus dem Supermarkt, die sogenannten Tafeläpfel, kommen von großen Plantagen. Für den Apfelsaft und den Apfelwein aber verwendet man auch Streuobst – also Äpfel von hochstämmigen Bäumen, die natürlich auf Feldern und Wiesen wachsen und weder speziell gedüngt noch gespritzt werden.
Der Großteil der Äpfel in Deutschland kommt von professionellen Plantagen im Süden von Deutschland. Zusätzlich müssen aber auch noch viele importiert werden, wie z.B. aus Südtirol. Es gibt aber in Deutschland auch ca. 300 regionale Keltereien, die im Jahr etwa 600.000 Tonnen Streuobst-Äpfel verarbeiten.
In der Uckermark gibt es mehrere Keltereien, die sich auf Streuobst-Äpfel spezialisiert haben. Im Süden der Uckermark gibt es die UMBio und die Königin von Biesenbrow. Die Apfelgräfin (von Arnim in Lichtenhain bei Schloss Boitzenburg) und den Gutshof Kraatz bei Fürstenwerder.
Kann der Apfel mit der Traube mithalten?
Beim Geschmack kann der Apfelwein sehr gut mit dem Traubenwein mithalten. Die Vielzahl an verschiedenen Aromen, die Weintrinker schätzen, können sie auch im Apfelwein finden. Denn die Aromavielfalt geht weit über die üblichen Apfelaromen, wie in der Frucht oder im Saft, hinaus. Allerdings ist der Apfelwein noch nicht so gut erforscht und viel diskutiert wie der Traubenwein.
Durch die Gärung und Reifung treten viele Aromen überhaupt erst hervor. Dabei wird man schnell die verschiedenen geschmacklichen Nuancen feststellen, die die unterschiedlichen Apfelsorten zu bieten haben. Apfelweine haben zwar im Durchschnitt weniger Alkohol als Traubenweine, aber durch ihr Zucker-Säure-Verhältnis sind manche einem Riesling oder Grauburgunder oder gar Cidre sehr ähnlich.
Und das beste dabei, der Apfelwein sind wie die Äpfel direkt aus der Region.
Wie macht man eigentlich Apfelwein?
Bei einem Uckermark-Urlaub hat man auch die Gelegenheit zu lernen, wie der Apfelwein eigentlich gemacht wird. Die Herstellung ist ähnlich zu der von Traubenwein. Hier eine kurze Anleitung zu leckerem Apfelwein aus Streuobst-Äpfeln in 12 Schritten.
1. Wachsen
Die Blüten wachsen tatsächlich bereits ab August über ein ganzes Jahr zu Äpfeln heran und sind je nach Sorte zwischen September und November reif. Erst wenn die Äpfel gut ausgereift sind, wird geerntet.
2. Schütteln
Im Gegensatz zu Tafel-Äpfeln müssen die Mostäpfel nicht aufwendig von Hand gepflückt werden. Hier reicht kräftiges Schütteln. Wichtig ist aber, dass die Sorten immer getrennt voneinander gesammelt werden. In kleinen privaten Gärten wird dazu mit einer langen Stange jeder Ast geschüttelt. Bei großen Streuobstwiesen kommt auch mal ein Seilschüttler zum Einsatz. Da kann ein einzelner Baum auch schon mal 400 kg Äpfel in wenigen Sekunden fallen lassen. Die Äpfel fallen dann auf eine zuvor ausgelegte Plane.
3. Sammeln
Nun werden die Äpfel entweder mit der Hand aufgelesen oder etwas rückenfreundlicher mit einem Spiralsammler. Wichtig ist, dass keine Äpfel dabei sind, die längere Zeit am Boden lagen, sonst können später Pilzsporen in den Most gelangen. Einige Sorten müssen noch ein paar Wochen lagern. So wandelt sich die Stärke in Zucker um und zu viel Säure wird abgebaut.
4. Transport
Die Äpfel werden in gut belüftete Obstkisten gelegt. Keinesfalls aber in luftdichte Kunststoffsäcke, denn Luftabschluss und Verletzungen der Früchte ergänzen sich bei warmen Temperaturen äußerst ungünstig.
5. Reinigen
Die angelieferten Äpfel werden in Wasser gereinigt und sollten innerhalb von 24 Stunden verarbeitet werden.
6. Zerkleinern
In einem Muser werden die Streuobst-Äpfel zur Maische, also einer Art Apfelmus, zerkleinert.
7. Pressen
Die Maische wird nun in Tücher eingeschlagen und in mehreren Lagen mit Platten getrennt übereinandergelegt. In der Presse wird der Stapel zusammengedrückt, sodass der Apfelmost herausfließt. Der Trester bleibt übrig (ca. 25%). Er kann als Futter, Dünger, Geliermittel oder für den Apfeltresterbrand verwendet werden.
8. Stehen lassen
Für ca. einen Tag muss der Most ruhen, sodass sich Trübstoffe absetzen können und der Most heller wird.
9. Pumpen
Nun wird der frische Most langsam und vorsichtig in den Gärtank gepumpt.
10. Gären
Jetzt ist Warten angesagt. Die alkoholische Gärung dauert etwa sechs Wochen. Hefezellen wandeln den Fruchtzucker in Alkohol um. Je mehr Zucker im Frischmost, desto mehr Alkohol. In der Luft gibt es zwar viele Hefebakterien, aber um dem Zufall etwas auf die Sprünge zu helfen, wird gezielt Hefe hinzugegeben.
11. Abstich
Dann gibt es den ersten Abstich und der junge Wein wird etwas geschwefelt und in ein sauberes Fass umgezogen. Dort verbleibt er mindestens weitere sechs Wochen (klärt sich). Er wird erneut abgestochen und bis zur Flaschenfüllung spundvoll in einem Tank oder Holzfass eingelagert.
12. Filtrieren und Abfüllen
Vor der Flaschenfüllung im Frühjahr wird der Wein meistens filtriert um die Haltbarkeit zu erhöhen. Dann wird er entweder in Glasflaschen oder in sogenannte Bag-in-Box-Verpackungen (3-5 Liter) abgefüllt. Im Gegensatz zum Kanister hat der „Sack in der Kiste“ den Vorteil, dass auch nach Anbrechen der Verpackung keine Luft an den Saft rankommt. Somit hält er sehr viel länger.
Alkoholgehalt
Durch den Fruchtzucker in den Äpfeln hat man in normalen Jahren 6 bis 8 Vol.% Alkohol-Gehalt. Im Jahr 2018 waren es in Kraatz sogar 10%, denn durch den langen heißen und trockenen Sommer konnte sich vorher sehr viel Furchtzucker bilden. Meist folgen auf gute Jahre mit sehr vielen Äpfeln dann schlechte Apfeljahre – das ist die sogenannte Alternanz. Da die Bäume Blüten fürs nächste Jahr bereits im August anlegen, werden sie durch viele Früchte im Herbst dabei geschwächt.
Je nachdem, wie der Gärprozess ausgeführt wird, ergeben sich unterschiedliche Alkoholgehalte. Zu Beginn sind in 100 ml von Florians Apfelmost im Gutshof Kraatz etwa 10-15 Gramm natürlicher Zucker. Die Hefe-Bakterien wandeln diesen nun um. Aus 1% Zucker werden ca. 0,6 Vol.% Alkohol. Bei typisch französischem Cidre zum Beispiel wird der Gärprozess sehr früh gestoppt, sodass nur 2-3 Vol.% Alkohol entstehen. Der Cidre ist daher auch eher süß, da noch viel Restzucker vorhanden ist. Lässt man die Hefe hingegen mehrere Monate arbeiten, so können sie den kompletten Zucker umwandeln. Bei 16 Vol.% Alkohol ist aber Schluss, denn darüber hinaus wird es den Bakterien zu sauer und sie stellen den Dienst ein. Auch dem menschlichen Gaumen ist das zu sauer, sodass bei diesen hochprozentigen Apfelweinen zusätzlich Zucker hinzugegeben wird um ihn zu süßen.
Die alten Apfelsorten
In Deutschland gab es früher mehr als 2300 Sorten. Viele davon kennt man heute gar nicht mehr, da sie durch die modernen Tafelobst-Sorten aus dem Supermarkt ersetzt wurden. Allerdings eignen sich viele dieser modernen Sorten, wie Gala, Jonagold und Braeburn aromatisch nicht für den Wein. Es braucht säure- und gerbstoffreiche (also auch bittere) Äpfel.
Solche alte Apfelsorten sind: Adams Parmäne, Winterzitronenapfel, Lausitzer Nelkenapfel, Kanada Renette oder Gestreifter Kardinal, Gravensteiner, Cox Orange, Boskoop, Altländer Pfannkuchenapfel, Bittenfelder, Goldparmäne und der Rheinische Bohnapfel.
Viele dieser Äpfel sind eher bitter und sauer. Was jedoch beim Reinbeißen zu sauer schmeckt, kann im späteren Saft genau richtig sein. Sehr süße Äpfel hingegen schmecken im Saft und Wein oft langweilig und fade.
Die alten Apfelsorten haben auch meist mehr gesunde Polyphenole. Das sind Antioxidantien, die die Frucht vor Krankheitserregern und UV-Licht schützen. Apfelallergiker können diese alten Sorten besser vertragen, da diese meist wenigen Allergene enthalten. Die Polyphenole sorgen auch für die Säure, Bitterkeit und Farbstoffe im Apfel. Einen hohen Polyphenol-Gehalt kann man auch gut am schnellen Braunwerden erkennen, wenn man den Apfel frisch anschneidet und an der Luft liegenlässt.
Gutshof Kraatz
Wenn man in das kleine brandenburgische Dorf Kraatz mit seinen 100 Einwohnern das erste Mal einfährt, fühlt es sich an als wäre man am Ende der Welt angelangt. Am östlichen Rand des Naturparks Uckermärkische Seen und der Feldberger Seenlandschaft, die schon zu Mecklenburg-Vorpommern gehört, liegt der alte Gutshof Kraatz. Hier werden alte und wertvolle Apfelsorten genutzt um Säfte und Weine zu keltern.
Florian Profitlich ist der Eigentümer. Der ehemalige Berliner Architektur-Fotograf und seine Frau zogen vor mittlerweile fast 20 Jahren hier in die Uckermark. Zuerst waren es nur Wochenend-Ausflüge, doch bald fanden sie Gefallen an der Ruhe und der Natur und beschlossen dauerhaft hier zu bleiben.
Apfelweinbauer wurde Florian aber eher zufällig.
Zum Wein gekommen sind wir durch die Uckermark. Durch die Massen an Äpfeln, die wir jeden Herbst unter den Bäumen in der Landschaft liegen sahen und die niemand haben wollte. Irgendwann gab es per Kleinanzeige eine Mostpresse zu kaufen und vom Most war es nicht mehr weit zum Wein. Das macht der Most fast von ganz allein – fast.
Florian Profitlich vom Gutshof Kraatz
Seitdem nutzt er allerlei alte Sorten von Streuobstwiesen und aus den Gärten der Region. Er schätzt die Qualität der alten, hoch gewachsenen Apfelsorten. Diese seien entscheidend um die Geschmacksvielfalt und Intensität seiner Weine und Säfte zu erreichen.
In seiner Kelterei in der denkmalgeschützten Scheune von 1870 verarbeitet er heute mit seinen Mitarbeitern neben Äpfeln auch Birnen und Quitten zu Saft und Wein. Während der Erntezeit werden hier bis zu 2000 kg Äpfel an einem Tag verarbeitet.
Leckeres aus Streuobst
Die hausgekelterten Weine und Säfte vom Gutshof Kraatz sind so vielfältig wie die alten Apfelsorten. Mehr als 30 verschiedene gibt es hier zu verkosten. Darunter die reinen Sorten wie Alkmene, Cox-Orange, Eisapfel von Croncels, Goldparmäne, Kaiser-Wilhelm-Renette aber auch Apfelmischungen wie Apfel-Birne oder Apfel mit Aronia. Da die Säfte pasteurisiert sind, können sie abgefüllt viele Monate halten.
Apfelwein und Seccos
„Mit unserem ersten Jahrgang 2011 hatten wir Anfängerglück“, sagt Florian. „Wir hatten das Richtige geerntet und stellten fest, dass ein erster Jahrgang (7.000 Liter) durchaus gelingen kann. Vier unserer ersten Versuche haben wir bis heute im Sortiment. Weine aus Rheinischen Bohnäpfeln, aus Boskoop und aus Mostbirnen“
Dazu gibt es auch Seccos, wie z.B. den sehr leckeren Birnensecco, Liköre, Apfel- und Quittenessig und Fruchtaufstriche. So können sie auch Quitten, wilde Birnen und Mostbirnen, die sehr gerbstoffreiche sind und sich nicht direkt zum Essen eignen, nutzen.
Apfel, Birne, Quitte und Co.
Darüber hinaus stellt Florian aus der Maische auch noch allerlei verschiedene Obstbrände her. Das Brennen lässt er allerdings außer Haus machen, denn das würde sich hier für die geringen Mengen nicht lohnen.
Die geringen Mengen sind manchmal auch ein Problem, denn im Gegensatz zu den großen Plantagen, wie z.B. in Südtirol, fallen die Ernten der Streuobst-Äpfel jedes Jahr unterschiedlich aus. Daher nutzt Florian eben nicht nur eine, sondern viele verschiedene Obstsorten, wie Birnen, Quitten, Pflaumen Johannisbeeren oder Aronia. Nur Kirschen nicht, denn da sind die Stare meist schneller.
Zu guter Letzt experimentiert er auch immer wieder mit Cuvées, also Mischungen verschiedener Apfelweine. So kann er weniger gute Ernten eines Jahres mit z.B. etwas weniger Sonne und Aroma ausgleichen. Oder er erzeugt somit auch ganz neue Kreationen. Diese stellt er übrigens seit 2013 auf der europäischen Apfelweinszene vor, die sich jährlich zur „Cider-World-Messe“ in Frankfurt am Main trifft.
Restaurant und Ferienwohnung
Das Streuobst ist aber nicht das einzige Standbein des Gutshofes. Neben der Kelterei gibt es auch ein ausgezeichnetes Restaurant. Hier kann man gemütlich drinnen, aber bei gutem Wetter auch im Freien wunderbar essen. Florians Frau und Wirtin Edda Müller zaubert tolle Gerichte aus saisonalen Produkten aus der direkten Umgebung.
In der Weinschänke gibt es natürlich auch Kaffee mit Apfelstrudel und einen Hofladen. Hier kann man die zuvor verkosteten Säfte und Weine und viele weitere Streuobst-Spezialitäten gleich mitnehmen.
Sehr schön gelegen ist auch die Ferienwohnung in der Remise. Diese ist direkt an den Gutshof angebaut und hat bodentiefe Fenster und einen Kamin. Im dazugehörigen Garten gibt es einen großen Grill und man hat einen guten Blick auf das Schloss Kraatz, das Herrenhaus des Gutes.
Streuobstwiesen – fast vergessene Kulturlandschaft
Der Apfel wuchs ursprünglich gar nicht in Europa. Er kam wohl aus Asien (so wie die Palabirne), wo er schon vor 4000 Jahren kultiviert wurde. Die vielen alten Apfelsorten entstanden teils durch gezielte Züchtung, aber auch durch zufällige Kreuzungen. Letzteres geschieht sehr häufig, denn zur erfolgreichen Befruchtung sind immer Apfelbäume von zwei verschiedenen Sorten nötig.
Die hochstämmigen Kulturapfelbäume, die heute in der Uckermark zu finden sind, werden bis zu 15 m hoch. Zusammen mit anderen Bäumen und Gräsern bilden sie die Streuobstwiesen, auf denen im Sommer tausende Bienen und Hummeln summen. Diese faszinierende Landschaftsform gehört mittlerweile zu den artenreichsten Biotopen in Europa.
Streuobstwiesen entstanden ursprünglich aus künstlich angelegten Obstgärten. Das Wissen und die Pflanzen brachten vermutlich die Römer damals aus Asien nach Europa. Später führten Mönche in den Klöstern diese Tradition fort. Das nächste Kloster war übrigens nicht weit entfernt: das ehemalige Nonnen-Kloster in Boitzenburg.
Die Obstbäume ernährten früher viele Menschen auf dem Land. Nachdem im 30-Jährigen Krieg viele Obstbäume gezielt zerstört wurden, ließ der Adel wieder überall Obstbäume anpflanzen. Im ehemaligen Preußen war es vor allem Friedrich der Große, der den Obstanbau gezielt förderte. Die Hugenotten aus Frankreich brachten ebenfalls viele verschiedene Obstsorten mit sich und so auch in die Uckermark.
Im 19. und noch bis Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Streuobstwiesen ihren Höhepunkt. 1930 war die Fläche mit 15000 km² für den Obstanbau etwa so groß wie ganz Schleswig-Holstein. Die Bücher aus dieser Zeit sind bis heute meist die einzigen Quellen, die Pomologen (Spezialisten für alte Apfelsorten) haben, um alte Apfelsorten zu bestimmen.
Deutschlandweiter Kahlschlag an Streuobstwiesen
Ab den 1960er-Jahren begann man in Deutschland großflächig alte Apfelbäume zu fällen. Sie stellten ein Problem für die industrielle Apfelproduktion dar, da sie als Konkurrenzangebot die Preise drückten. Eigentümer von Streuobstwiesen bekamen als Anreiz sogar mehrere Tausend Deutsche Mark um die alten Obstbäume zu fällen. Somit sank der Bestand z.B. in Baden-Württemberg von 36 Mio. Streuobstbäumen in 1938 auf nur noch 7.1 Mio. in 2018.
Dass die Uckermark damals keine traditionelle Obstanbauregion war, war vielleicht auch ihr Glück. Denn auch in den neuen Bundesländern, wie im Havelland, wurde nach der Wende nun im großen Stil gerodet. Über 8000 Deutsche Mark Rode-Prämie gab es von der EU für das Roden der alten Apfelbäume. Heute werden in ganz Brandenburg nur noch auf 9 km² Äpfel angebaut.
Die alleinstehenden bis zu 100 Jahre alten und hochstämmigen Obstbäume der Uckermark stehen aber noch. Jedoch wurden sie nach dem Zusammenbruch der DDR-Wirtschaft nicht mehr genutzt. Aber genau diese Bäume sind es heute, die den Reiz für Apfelbauern wie Florian vom Gutshof Kraatz ausmachen.
Nachhaltiger Anbau und Wirtschaft
Früher hat man gewartet bis die Äpfel von dem Bäumen fielen, teils noch bis in den Dezember. Die alten Sorten stammen aus einer Zeit, als die inneren Werte, die aromatische Vielfalt höher geschätzt wurden als das äußere Erscheinungsbild des Apfels.
Die Landschaft der Uckermark bietet beste Voraussetzungen für eine artenreiche Tier und Pflanzenwelt. Zeugen des Endes der Eiszeit vor 15000 Jahren sind bis heute die vielen tausend kleinen und großen Seen, die aus dem Wasser der Gletscher-Schmelze entstanden. Mittlerweile hat sich auch die Buche wieder ausgebreitet und bedeckt große Teile der Naturschutzgebiete. Ab und zu findet man dort riesige Granitfelsen. Sie kamen mit den Gletschern aus Norwegen bis hierher – ebenfalls Zeugen der Eiszeit.
Die Streuobstwiesen können ebenfalls zur Artenvielfalt beitragen und gleichzeitig einen Beitrag zur lokalen Wertschöpfung leisten.
Unterschiede zwischen Streuobst und Tafelobst
Der Apfel ist das beliebteste Stück Obst in Deutschland. Jeder Deutsche trinkt etwa 7 Liter Apfelsaft im Jahr und allein 70% der Plantagenfläche in Deutschland werden für den Apfelanbau verwendet. Allerdings sind selbst diese oft zu teuer im Vergleich zum Weltmarkt. Daher werden über 80% der Äpfel zu allererst eingelagert um sie dann später zu einem besseren Preis verkaufen zu können.
Tafelobst-Äpfel bis zu 12 Monate alt
Äpfel im Regal sollen für den Verbraucher vor allem schön aussehen und das zu einem sehr günstigen Preis. Dazu wird auf professionellen Plantagen einiges an Aufwand betrieben.
Zunächst müssen die Plantagenbäume (auch Bio-Apfelbäume) vor Schädlingen wie dem Apfelwickler-Schmetterling und Krankheiten wie dem Schorf durch Spritzen geschützt werden. Nach dem Ernten und anschließender stichprobenartiger Reife- und Qualitätsprüfung kommen diese sofort ins Kühlhaus. In den riesigen Anlagen lagern die Früchte bei ca. 1.5°C, 1% Sauerstoff (atmosphärische Luft hat 21%) und hoher Luftfeuchte. Das verlangsamt die Alterung im Apfel und hält ihn knackig und frisch. Manche Hersteller verwenden dafür zusätzlich Methylcyclepropen (SmartFresh-Verfahren).
Der Apfel behält somit zwar seine Feuchtigkeit und sieht weiterhin aus wie frisch gepflückt, allerdings sinkt der Gehalt an Vitamin C drastisch. Bereits nach 2 Monaten Lagerung ist dieser um 50% gesunken. Dazu kommt, je länger die Äpfel gelagert wurden, desto kürzer die Haltbarkeit nachher im Regal oder zuhause.
Nun erst werden die Äpfel sortiert. Mit sehr viel Wasser um Druckstellen zu vermeiden und um sie einfacher zu transportieren. Erst jetzt können die Äpfel, die zu groß, zu klein oder ein wenig schorfig sind, in die Mosterei gebracht werden.
Um den Saft noch länger haltbar und ihn vor allem platzsparender lagern zu können, gibt es noch die Möglichkeit anstelle von Direktsaft ein Konzentrat zu machen. Der Apfelsaft wird dafür erhitzt, bis nahezu all sein Wasser komplett verdampft ist. Später wird das Wasser bei der Abfüllung wieder hinzugefügt.
Trotz, oder gerade wegen, dieser aufwendigen Schritte sind industrielle Äpfel und deren Säfte mittlerweile extrem günstig geworden. Auf der anderen Seite benötigen sie dafür aber auch viel Energie, Wasser, Dünger und Pflanzenschutzmitteln.
Alte Apfelsorten bewahren
Äpfel schmecken regional unterschiedlich. Nicht nur Boden und Wetter spielen hier eine Rolle, sondern vor allem auch die vielen verschiedenen Sorten. Pomologen wie Hans-Joachim Bannier sind auf der Suche nach seltenen Apfelsorten, wie z.B. dem „Großen Borsdorfer“. Von diesem gibt es nur noch zwei Bäume in ganz Deutschland. Da er extrem langlebig und resistent ist, ist es besonders wichtig ihn zu bewahren. Streuobstwiesen als natürliche genetische Schatzkammern sind daher wichtig um die Sorten zu erhalten um auf künftige veränderliche Umweltbedingungen reagieren zu können. Auf die Streuobstwiesen alleine verlassen sich die Wissenschaftler allerdings nicht. Zusätzlich werden die Sorten in Gendatenbanken und Gärten öffentlicher Einrichtungen gesichert.
Der Apfel und der Klimawandel
Wenn die Apfelbäume blühen, dann beginnt für mich der Frühling. Aber nicht nur für mich, sondern für viele Menschen auf der ganzen Welt. Daher wird seit 1951 die Apfelblüte als Beginn des sogenannten Vollfrühlings an vielen verschiedenen Orten in ganz Deutschland dokumentiert.
In den letzten 70 Jahren hat sich die Apfelblüte insgesamt um 15 Tage nach früh verschoben. Der Apfel ist somit ein sehr anschaulicher Beweis für den Klimawandel infolge der globalen Erwärmung.
Wenn die Bäume früher blühen, sind sie auch mehr der Gefahr für Spätfrost ausgesetzt, wie z.B. im Jahr 2019. Schätzungsweise ist die Ernte vor allem in Osteuropa dadurch um 30% geringer ausgefallen. Professionelle Plantagen können mit künstlicher Beregnung die jungen Blüten vor dem Nachtfrost schützen.
Nicht so aber die Streuobstwiesen. Die zunehmende Trockenheit, auch in der Uckermark, macht besonders den alten und frisch gepflanzten Bäumen sehr zu schaffen. Somit wird die Streuobst-Apfelernte in Zukunft wohl noch unvorhersehbarer.
Zukunft der Streuobstwiesen in der Uckermark
Streuobst hat einen sehr viel geringeren Ertrag pro Hektar als eine Plantage und das bringt somit auch weniger Geld ein. Da sich die Äpfel zudem meist nicht so einfach von Hand pflücken lassen, werden die Bäume geschüttelt und die Äpfel als Mostobst genutzt. Für dieses Mostobst gibt es aber lediglich 6-8 Ct/kg. Wohingegen es für Tafeläpfel wesentlich mehr gibt, etwa 30-35 Ct/kg. Die Streuobstbäume müssen zwar nicht gespritzt, aber dennoch beschnitten werden um Schattenäpfel zu vermeiden. Zusätzlich muss auch mehrmals im Jahre die sogenannte Mahd (das Mähen um die Bäume herum) gemacht werden. Und trotzdem kann es sein, dass Bäume auf Streuobstwiesen ein Jahr auch mal gar nichts tragen. Von daher könnte 1 kg Tafeläpfel von der Streuobstwiese gut und gerne 10 EUR kosten.
Das ist natürlich viel zu teuer. Das einzige, was sich noch halbwegs lohnt ist der Weg in die Kelterei. „Aber auch nur, weil ich einen guten Preis für das Streuobst bezahle“, sagt Florian vom Gutshof Kraatz. Er zahlt für jeden der gute und sortenreine Streuobst-Äpfel liefert den gleichen Preise wie für Tafeläpfel. Er setzt somit einen Anreiz für Besitzer alter Baumbestände, diese zu bewahren und zu pflegen. Das hilft nicht nur der Region Nordwestuckermark, sondern auch der angrenzenden Feldberger Seenlandschaft, alte Apfelsorten zu erhalten.
Vielfalt und Traditionssorten bleiben nur erhalten, wenn sie genutzt werden.
Florian Profitlich, Apfelwinzer
Nicht alle Äpfel in einen Korb
Dennoch ist allein das Geschäft mit den Streuobst-Äpfeln zu ungewiss. Neben den Äpfeln setzt Florian daher zur Hälfte auch auf Birnen und Pflaumen um das Risiko zu streuen.
Dazu kommen Restaurant und Hofladen mit saisonalen Produkten, die zudem aus der Region sind und so möglichst kurze Transportwege haben. Die meisten Produkte beschafft Edda Müller daher in einem Umkreis von 50 km. Nur bei Käse und Hühnchen wird es schwierig, sagt Edda .
Die beiden Ferienwohnungen für die Urlauber in der Remise und im Bauernhaus runden das Portfolio des Gutshofes ab. Bereits beim Bau haben Florian und Edd auf Nachhaltigkeit geachtet. Neben Naturmaterialien, wie die Lehmwände und die Beheizung mit Wärme aus der nahegelegenen Biogasanlage, nutzen sie auch Photovoltaik auf ihrem Dach.
Zusammenfassung
Fakt ist: heutzutage sind Streuobstwiesen wirtschaftlich leider nicht rentabel, weder in der Uckermark noch sonst wo in Deutschland. Sie bedürfen daher öffentlicher Förderung allein um sie durch Mähen und Schneiden zu erhalten.
Seit langer Zeit sind die Streuobstwiesen aber schon Teil unserer Kultur. Der höchste Wert der Uckermark ist daher ihr Landschaftsbild. Das Streuobst ist ein wichtiger Teil davon und mit den Produkten können die Urlauber und Besucher einen Teil der Uckermark mit nach Hause nehmen. Darüber hinaus zeigen mutige und kreative Unternehmer wie Florian vom Gutshof Kraatz, dass sich nachhaltiges Wirtschaften für alle lohnen kann – Mensch und Natur.
Und wenn ich wüsst‘, dass morgen die Welt unterginge, ich würd‘ heut noch ein Apfelbäumchen pflanzen.
Martin Luther
Wenn du also nach einer alten Apfelbausorte für deinen Garten suchst oder mal einen Birnensecco probieren möchtest, dann bietet ein Urlaub in der Uckermark mit ihren ursprünglichen Streuobstwiesen die Gelegenheit dazu.
Mein digitaler Reise-Guide für dich
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Hinweis: Unbeauftragte, unbezahlte Werbung. Dieser Artikel basiert auf persönlichen Erfahrungen, die ich selbst gezahlt habe.